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Augusta Hoffmann

Portraits ehem. Bewohner

Augusta Hoffmann (1921-2010), Überlebende von Auschwitz

„Wenn ich einmal gestorben bin, kannst Du den Steinwendenern sagen, was ich mitgemacht hab,“ sagte mir Augusta Hoffmann vor einigen Jahren einmal. Jetzt ist sie gestorben. Am 20. August 2010 starb sie in Landstuhl im Alter von 88 Jahren. Ein erfülltes, aber auch schweres Leben ist zu Ende gegangen.

Augusta Hoffmann überreichte mir bei unserem letzten langen Gespräch im Januar 2008 eine Broschüre über das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Und das war dann auch schon der Einstieg in unser Gespräch. „Das Heft hat mir meine Nichte aus den USA geschickt, und das will ich jetzt Dir geben, weil Du Dich für diese Dinge interessierst. Die meisten Menschen wollen davon ja nichts wissen“. „Waren sie selbst dort?“ fragte ich sie. „Ja, vier bis fünf Monate, bis uns die Engländer dort befreit haben“. Und vorher: „Da war ich in Auschwitz, Wolkenburg, Ravensbrück und Mauthausen. Es waren schlimme Jahre“.

Hier ihr Lebenslauf in Kürze: Sie wurde als Augusta Delis am 27. August 1921 in Niedersteinbach bei Aschaffenburg geboren. Bald darauf ist die sesshaft gewordene Sinti-Familie nach Hanau gezogen. Augusta hatte neun Geschwister. Nach dem Schulbesuch arbeitete sie einige Jahre in der Hanauer Schmuckindustrie. Kurz nach Kriegsbeginn heiratete sie, ein Kind kam auf die Welt. Der Ehemann wurde Soldat und ist gefallen. Am Abend des 20. März 1943 ist sie mit ihrem kleinen, zweijährigen Kind, ihren Eltern und sechs Geschwistern von der Polizei abgeholt worden. Schon seit längerem habe man so etwas befürchtet. Sie wurden in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Dort wurden sie alle kahl geschoren, tätowiert und mussten Sträflingskleidung anziehen. Noch im gleichen Jahr wurde der 24 Jahre alte Bruder von Augusta, Anton Delis, in Auschwitz erschossen. Ihr kleines Kind verhungerte in Auschwitz.
Ihre Bewacher waren sowohl Männer als auch Frauen. Die Frauen seien oft noch viel schlimmer gewesen als die Männer. Da sie sich mit Schmuck auskannte, bekam sie einen besonderen Posten in der Kleiderkammer, musste dort Schmuck, den man den Gefangenen abgenommen hatte, sortieren und mit einer Zange die Edelsteine aus den Schmuckstücken heraus brechen. Sie kannte den berüchtigten KZ-Arzt Dr. Mengele, dem sie einmal bei einer Operation assistieren musste. Sie sah zu, wie er vor dem Krematorium durch Fingerzeig über Leben und Tod der einzelnen Häftlinge entschied. Wenn es zu den Abtransporten in die Gaskammern kam, wurde Augusta Hoffmann mehrmals von einem russischen Gefangenen („Boris“) gewarnt, der einen Sonderstatus genoss und ein gutes Verhältnis zu den SS-Männern hatte.
Von Auschwitz kam Augusta Delis ins Lager Wolkenburg, dann nach Ravensbrück, von dort nach Mauthausen und schließlich nach Bergen-Belsen. Von Ravensbrück aus musste sie - wie viele andere Frauen - in Berlin beim Schutträumen der durch alliierte Bombenangriffe zerstörten Gebäude helfen. „Trümmerfrauen“ nannte man sie. In Bergen-Belsen musste sie mithelfen, Massengräber zu schaufeln. Die Leichenberge von damals hat sie bis zuletzt vor Augen. Das Lager Bergen-Belsen wurde am 15. April 1945 von der englischen Armee befreit. Augusta Delis war zu diesem Zeitpunkt schwer erkrankt an Fleckfieber und Bauchtyphus. Ein englischer Soldat habe ihr Medizin sowie bittere Schokolade und trockene harte Kekse gegeben. Bald ging es ihr wieder besser, so dass sie noch im Mai 1945 nach Hanau zurückkehren konnte.

Von ihrer Familie hatten lediglich ihr Bruder Philipp und die beiden Kinder ihres Bruders Anton überlebt. Auch ihre Schwester Margarethe, die mit einem Luftwaffensoldaten verheiratet war, überlebte. Sie wohnte während des Krieges im Sudentenland, später in den USA. Vom Eigentum ihrer Familie war nichts mehr zu finden. Die Nazis hatten sich alles unter den Nagel gerissen. Augusta kam bei einer Bekannten unter und erhielt schließlich ein Zimmer im ehemaligen Soldatenlazarett zugewiesen. Bei einer Tanzveranstaltung lernte sie Mieczyslaw Hoffmann kennen, der aus Posen stammte. Er war seit 1939 als polnischer Kriegsgefangener in Deutschland, mehrere Jahre in Emmen bei Iserlohn, wurde aber durch die Gestapo verhaftet und landete schließlich im KZ Buchenwald, wo er die Befreiung erlebte. Beide heirateten an Heiligabend 1949 in Hanau.

In den fünfziger Jahren kam das Ehepaar in die Pfalz. Mieczyslaw Hoffmann bekam zunächst Arbeit auf der Vogelweh, dann in Miesau. Bei der Wohnungssuche kamen die Eheleute 1957 nach Steinwenden und mieteten eine kleine Wohnung, bestehend aus einer Küche und einem Zimmer im Hause der Witwe Willenbacher in der Eisenbahnstraße, wo beide 14 Jahre lebten. Von Albert Lösch und seiner Schwester erwarben sie bald ein Grundstück. Dort errichteten sie eine Hühnerfarm und bebauten einen großen Garten mit viel Obst und Gemüse. Zeitweise wurden ca. 1.500 Hühner gehalten. Sie errichteten auf diesem Grundstück schließlich ein Holzhaus, in das sie 1971 einzogen und wo sie bis vor kurzem wohnten. Bei ihrer Arbeit wurde das Ehepaar Hoffmann jahrelang tatkräftig unterstützt von Frau Erika Zecevic.

Am 25. August wurde Augusta Hoffmann in Steinwenden zu Grabe getragen. Es war ein kleiner Kreis, der ihr die letzte Ehre erwies. Pfarrer Dr. Achim Dittrich erinnerte in seiner Trauerpredigt an das Leid, das die Verstorbene während des Krieges erlitten hatte. Der Männergesangverein sang zwei Lieder zum Abschied.

Roland Paul



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